Heimatverein Weilmünster - Teil 1

  • Es war einmal in Weilmünster

    Geschichten aus der Heimatstube

    Am 28.08.1601 erhielt der Flecken an der Weil von Kai­ser Rudolf II. die Marktrechte verliehen. Die geschicht­lichen Daten, Handlungen und Geschehnisse der Ver­gangenheit und zahlreiche Relikte aus diesen Zeiten verdienen eine ansprechende Würdigung.

    Der Heimat­verein Weilmünster bemüht sich schon seit vielen Jahren Vergessenes sichtbar zu machen. Seit 1998 steht nunmehr eine geeignete Räumlichkeit im liebevoll restaurierten Fachwerkgebäude „Am Bleidenbach 29" in Weilmünster zur Verfügung.

    Über die oben stehenden Titel können Sie verschiedene Geschichten des Heimatvereins nachlesen:

    • 420 Jahre Marktrechte 1601 - 2021
    • Der Felsenkeller am Kirberg
    • Unser tolles Weilmünster
    • Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster (heute vitos)
    • Der Weilbote – Weilmünsters Tageszeitung zu Anfang des 20. Jahrhunderts

    Weitere Berichte aus der Geschichte des Marktfleckens finden Sie im >> 2. Teil << und >> 3. Teil <<

    Öffnungszeiten der Heimatstube: nach Vereinbarung

    Mehr Informationen entnehmen Sie der Webseite des Heimatvereins Weilmünster

    Heimatverein Weilmünster
    Kontakt Heribert Domes, Telefon 06472 / 1607
    Heimatstube
    Am Bleidenbach 29 – Weilmünster

    heimatverein weilmuenster logo

  • 420 Jahre Marktrechte Weilmünster 1601 – 2021

    Der Heimatverein Weilmünster erinnert, frei nach der Chronik von Robert Dann
    Redigiert von Heribert Domes

    Wir blicken zurück in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit ist man von der  Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft übergegangen und die Frondienste wurden in geldliche Abgaben umgewandelt. Mit den Herren der Grafschaft Nassau Weilburg, Philipp II., Ludwig I. und Philipp III kamen die Weilmünsterer Bürger gut zurecht. Alle frühere Sachleistungen sind von dieser Zeit an in Geldform entrichtet worden. Als nun Graf Abrecht 1561 seinem Vater folgte führte dieser ab 1563 erneut Natural-Dienstleistungen in einer solchen Höhe ein, dass der Eindruck entstand, der Graf wolle die Bürger der wohlhabenden Gemeinde unter Druck setzen. Dadurch wurde das lange Jahre bestandene patriarchische  Verhältnis zwischen den Bürgern von Weilmünster und der Grafschaft Nassau Weilburg ernsthaft getrübt.

    Mit ungeschickter Hand und wenig Fingerspitzengefühl versuchte Graf Albrecht seine Forderungen gegenüber den Bürgern von Weilmünster durchzusetzen und schreckte auch vor Gewalttaten nicht zurück. Dies ließen sich die Einwohner von Weilmünster nicht gefallen. Sie verweigerten die geforderten Dienste und klagten ab 1563 beim Reichs Kammergericht in Speyer um mit Hilfe des kaiserlichen Gerichtes ihre Rechtsansprüche durchzusetzen. Zwischen 1563 und 1586 brachten sie 46 Klagen vor. Ein schwieriger und langwieriger Prozess entstand.

    23 Jahre dauerte der Konflikt zwischen Weilmünster und seinem Landesherren, der von 1577 bis 1584 nahezu einem förmlichen Kriege glich. In dieser Zeit ließ Graf Albrecht etwa 4000 Stück Vieh pfänden, er ließ alle diejenigen ausweisen, die ohne Erlaubnis seiner Beamten in sein Gebiet eingewandert waren und dort geheiratet hatten, um nur wenige der Repressalien zu erwähnen. Die Weilmünsterer Einwohner sind ihrem Herren in dieser Konfliktzeit nie eine Antwort schuldig geblieben. Es entstand eine Bauernrebellion, eine heroische Tat. In dem letzten und härtesten Abschnitt dieses Kampfes schrien die Weilmünsterer Einwohner ihren Landesherren  als Pharao, als Dionys und als Maxentius aus.

    Der Fall war schwierig und wurde immer anstößiger, je länger er sich hinzog. Die beiden Schwager von Graf Albrecht, Johann VI. von Nassau Dillenburg und Konrad von Solms Braunfels bewogen im Februar 1584, dass er Graf Albrecht den reumütigen Weilmünsterer Bürgern verzeihen solle. Als Ende 1584 immer noch etwa 100 Bauern in ihrem Widerstand beharrten, wanden sich Albrechts Verwandte an den Kaiser. Rudolf II. beauftragte 1586 die freie Reichsstadt Frankfurt die noch bestehenden Streitigkeiten zu schlichten. Das Urteil, das einen Schlusspunkt hinter den Streit zwischen der Gemeinde Weilmünster und der Herrschaft Nassau Weilburg setzte, wurde am 13. Februar 1587 von der Freien Reichsstadt Frankfurt gefällt. Für Weilmünster fiel der Richterspruch günstiger aus als Anfangs befürchtet. Die Bürger konnten ihren etwa 5000 ha. großen Laub und Nadelwald behalten, sie mussten nur die 1588 ha große Waldfläche „Burgk“ für 1200 Gulden an den Grafen verkaufen.  Weitere Einzelheiten dieses Urteils sind nicht überliefert. Am 08. Mai 1588 erkannte Weilmünster diesen Schiedsspruch an.

    Graf Albrecht verstarb am 11. November 1593 auf seinem Schloss in Ottweiler und wurde fern seiner Heimat in der Klosterkirche zu Neumünster im Saarland begraben. Erst unter seinem Sohn und Nachfolger Graf Ludwig II. bahnte sich sehr rasch ein besseres Verhältnis zu den Einwohnern von Weilmünster an. Um sich mit den Bürgern Weilmünsters auszusöhnen bat Ludwig II. den Kaiser Rudolf II. im Februar 1601 um die Erhebung Weilmünsters zum Markttor. Er ließ seinem Kaiser wissen, dass in seiner Grafschaft ein Dorf mit Namen Weilmünster liegt, dass bis heute noch keine offenen Jahrmärkte besitzt. Er machte darauf aufmerksam, dass wenn man diesem Dorf solche Freiheiten geben würde, es nicht nur demselben Ort, sondern auch allen benachbarten, die dort die Märkte besuchen von Nutzen sein würde.

    Auch Graf Ludwig II. selbst hatte ein großes Interesse an der Verleihung des Marktrechtes an Weilmünster. Die günstige Lage des Ortes, nur 2 km vom Einhaus, dem Straßenkreuz der Hessenstraße und der Frankfurter Straße und nur 5 km von den Landesgrenzen der Grafschaften Solms Braunfels und Wied-Runkel entfernt, bot Weilmünster die sichere Garantie für einen Markt mit großem Verkehr und starkem Umsatz.

    Am 28. August 1601 verlieh Kaiser Rudolf II. im Hradschin, seiner Kaiserburg in Prag, Weilmünster das Recht, 2 Jahrmärkte, den ersten auf Sonntag Lätare (der vierte Fastensonntag mit besonderer Erwartung auf den nahen Frühling, freu dich Jerusalem) und den anderen auf den Sonntag vor Martini, abzuhalten.  In der Urkunde ist zu lesen, „ ...wir versehen das genannte Dorf Weilmünster durch unsere kaiserliche Macht wissentlich mit solcher Gnade, dass seine Einwohner und ihre Nachkommen für ewige Zeiten diese Freiheiten haben. Sie sollen jährlich zu derselben Zeit mit kaiserlichen, gewöhnlichen Freiheiten 8 Tage vor und nach dem Markt gelten. Alle die dort die Märkte mit ihren Waren besuchen, sollen sie feil halten, sie sollen kaufen und verkaufen, sie sollen Freiheit, Schutz und Schirm, Recht und Gerechtigkeit haben, es sollen ihnen die gleichen Freiheiten und der gleiche Schutz gewährt werden, wie in allen anderen Marktorten auch…“

    Zum Gedenken an die Verleihung der Marktrechte am 28. August 1601 durch Kaiser Rudolf II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, feiert Weilmünster jährlich seine Kirmes am zweiten Wochenende im September. In diesem Jahr wäre die 420. Kirmes zu feiern gewesen, die leider Corona bedingt ausfallen muss.

    rudiczech als Maler stadtschreiber 400jahrfeier 2001

    Zur Erinnerung an die Verleihung der Marktrechte anlässlich der 400jahr-Feier – Marktrechte Weilmünster – im Jahre 2001, veröffentlichte Rudi Czech die nachfolgende Geschichte in Reimform mit Hilfe der Weilmünsterer Mundart.

    Das Bild zeigt Rudi Czech in seiner Rolle als Maler und Stadtschreiber während der 400jahr-Feier am 09. September 2001.

     

    Wej Weilmiester zum Maadrecht kam

    Woahrscheints kunnte us Vorfahrn nit all schreiwe unn lese,
    awer aach ohne Mengenlehre sein se ganz gout im Rechne gewese,
    denn des Land un de Wald, wej de Emesser-, de Lerche- und de Bullenberg,
    dej Wohnestrut un die Gerhardshecke, überhaapt alles,
    wu es sich lonte Geld nin zu stecke,
    hun schun 1460, wej mer aus de Chronik erfährt,
    bar bezahlt, Weilmiester gehört.

    De aanzig Jammer woar, dass se ihrn Landesherrn oals Teilhaber uffnehme musste,
    un do gob’s immer aan drunner, der sich nit oständig zu benemme wusste,
    wej zum Beispill, Graf Alrecht, ab 1562 de oberste Boss im Nassauer Land,
    su en richtige Durmel, ohne Gefoil un Verstand,
    der hoa geglaabt, er könnt mit Weilmiester Rasselböck fange
    un hoat weje jeder Klaanigkeit Streit ogefange,
    ununnerbroche dej Abgawe un Steuern erhöht,
    mer darf goar kaam verzähle, des us des heut nit vill besser geht,
    iwwerhaapt ständig gepiekst un gepetzt,
    uff ostännig Leut sei Soldsate un Hunde gehetzt,
    un dafür sollte ihm die Bierger im Flecke,
    aach noch de Teeueid leiste unn die Stiwwel lecke.

    De dickste Hund awer woar, als die Bürjer entdeckte,
    dess ihr Schuldheiß mit dem Lumpes in Weilburg unner aaner Decke steckte.
    Na, den hoatte se schnell aus de Roatsstubb gehollt,
    uff e Kärnche gebunne un durch de Flecke gerullt,
    ganz ostännig de Frack gebüchelt un de Boart ausgerisse,
    un wej mer verzählt, su obbe ohne im huhe Boge in die Weil geschmisse.

    Mieh oals 40 joahr lang is de Streit als hie un hergegange,
    Hat aaner uffgehiert, hoat de anner groad wirrer ogefange.
    Irscht wej de gräfliche Fulder agbekroatzt woar,
    suwoas kimmt jo – Gott sei Dank – aach bei Grafens voar,
    hoat sei Verwandschat, de Kaiser Rudolf de II. ins Bild gesetzt,
    mit de Oabsicht, dess der endlich aach emoal was schwätzt,
    un he schrieb noach Weilmiester,
    se sulle nit länger weij de Buchmarder schreie,
    er tät ihne aach  - damit se endlich des Maul emoal halle, des Marktrecht verleihe.

    Oam 28. August 1601 wurd dann im Flecke ausgeschellt
    Und die ganz Gemaa o die Kirch am Maadplatz bestellt.
    Durt woar schon oalles fei rausgeputzt mit Ginster und Tanne,
    in aaner Eck hun 3 vom Echo un 6 Leut voam Uhland zum Singe bereit gestanne,
    de Parrer hoat sich uff de Trepp glei gestellt un vo Gott un de Welt geschwätzt,
    inzwischen hoat sich dej mimm grießte Durscht schuan haamlich oabgesetzt,
    de Feuerwehr is brannteweinbefeuert mit brennende Fackeln dorim gefalle
    un de Schultheiß hoat endlich sei Red gehalle.

    Bürjer vo Weilmiester hoat er gesaat,
    mir hun gewonne un mir halle de Maad,
    su schlechtebächer wej de Albrecht, dej hun in Zuunft naut mieh ze lache
    un fier imsunst bräucht kaaner im Flecke mieh de Hannes ze mache.

    Un damit de Leut den Toag - us irscht Kirmes – nit vergesse,
    sulle se hippe, singe un saufe un fresse.
    Doas hoat de Gemaa bis heit su gehalle,
    un – ihr Leut – das hoat Eich immer oarg gout gefalle.

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  • Der Felsenkeller am Kirberg

    Erzählt von Herbert Köster, 2021 | Redigiert von Heribert Domes, 2021

    Vom Kirbergturm aus hat der Besucher des Marktfleckens Weilmünster einen ausgezeichneten Panoramablick über die Marktgemeinde. Von hier aus ist im Osten die 1898 in Betrieb genommene Heil und Pflegeanstalt Weilmünster (Vitos) zu sehen und der Blick schweift über die seit den 1950er Jahren kontinuierlich gewachsene Bebauung rechts der Weil, den alten Ortskern mit der historischen Steinkirche, Ende des 13. Jahrhunderts anstelle einer Holzkirche erbaut, bis ins untere Weiltal mit den zur Großgemeinde Weilmünster gehörenden Ortsteilen Lützendorf und Ernsthausen und am Horizont sind sogar Teile der Stadt Weilburg zu erkennen.

    wlm Heimatverein Felsenkeller kirberg Eingang aktuell

    Der Felsenkeller am Kirberg mit dem von Mitarbeitern des Bauhofes der Gemeinde Weilmünster mit einem neuen Schutzanstrich versehenen Sicherungstor.

    Bild: Gemeinde Weilmünster
    wlm Heimatverein Felsenkeller kirberg strasse1950

    Der Fahrweg Am Kirberg um 1950
    Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

    Geht der Spaziergänger vom Buttermarkt den Fahrweg „Am Kirberg“ in Richtung Hessenstraße hinauf, so fällt auf der linken Seite, wenige Meter vor dem Kirbergturm, ein mit einem schmiedeeisernen Tor gesichertes Kellergewölbe auf, welches in letzter Zeit durch Mitarbeiter des Bauhofs der Gemeinde Weilmünster einen neuen Schutzanstrich erhalten hat.

    Seit dem 16. Jahrhundert wurde in Weilmünster Bier gebraut. Der Braumeister Christian Vonhausen, Urgroßvater von Herbert Köster, errichtete 1880 an der heutigen Kreuzung Hauptstraße und Am Bleidenbach, gegenüber der damaligen Poststation der „Königlichen Schwedenpost“, heute Bürgerhaus Weilmünster, ein neues Braugebäude. Es handelt sich um das heute noch genutzte Backstein-Eckhaus.

    Zu dieser Zeit gab es in Weimünster noch keinen elektrischen Strom mit dem man wie heute das Bier kühlen und ausreichend lang hätte lagern können. Unsere Vorfahren nutzten aus diesem Grund die von der Natur gegebenen Möglichkeiten um dem begehrten Getränk auch in den Sommerzeiten die richtige Trinktemperatur zu verleihen. Aus diesem Grund grub Christian Vonhausen zeitgleich mit dem Bau seiner neuen Brauerei an beschriebener Stelle ein Kellergewölbe in das Gestein des Kirbergs, dass als Bier-Kühl- und Lagerstätte seine Dienste tat. 

    Dieses Kellergewölbe bestand aus drei miteinander verbundenen, auf unterschiedlichem Höhenniveau in das Gestein gehauenen Räumen. Den am tiefsten gelegenen befüllte er in den Wintermonaten mit Eisblöcken, die aus den eigens dazu in unmittelbarer Nähe zur Weil angelegten und mit Weilwasser gespeisten, sogenannten Eisweiher gebrochen wurden. So entstand ein zentrales Kühlsystem der zwei Lagerräume im Kellergewölbe am Kirberg. Die Eisweiher befanden sich zum Beispiel am Stauwehr gegenüber dem in den 1960er Jahren erbauten Anwesen des Heizungsbauers Otto Jung sowie im Weihergärtchen, auf der Parzelle des heutigen Busbahnhofs. Es waren ruhende Gewässer, die in den damaligen frostreichen Wintermonaten optimale Bedingungen zur Bildung einer ausreichend dicken Eisschicht boten. Nun konnte das Bier in Holzfässer gefüllt in den höher gelegenen Räumen des Felsenkellers eingelagert werden und bis zur Verwendung reifen.

    Dieses Kellergewölbe am Kirberg war als Bier-Lagerort bis zum August 1908 in Betrieb. In diesem Monat brannte die Brauerei ab, sie wurde nicht mehr aufgebaut und der Kirbergkeller nicht mehr als Bier-Lagerstätte gebraucht. Bis etwa 1940 ist jedoch weiterhin Eis in dem Gewölbekeller eingelagert worden aus dem sich die Weilmünsterer Gastwirte und Metzger bedienen konnten.

    Im Zweiten Weltkrieg fand ein Teil der Weilmünsterer Bevölkerung während der Luftangriffe Schutz im alten Felsenkeller am Kirberg. Zwischen 1958 und 1964 lagerte der Gastwirt Herbert Eppstein, Wirt des Gasthauses Zum Posthaus, in dem von Christian Vonhausen gegrabenen Felsengewölbe seinen selbst gekelterten Apfelwein. In dieser Zeit wurde kein Eis zur Kühlung mehr eingesetzt.

    1956 ebnete der Gesangsverein Uhland eine etwas oberhalb des Kirbergturms gelegene Fläche ein und es entstand der sogenannte Uhland-Festplatz mit einer Naturbühne auf dem in den 1960er Jahren diverse Veranstaltungen stattfanden.

    1968 diente der von Christian Vonhausen geschaffene Felsenkeller während eines Uhlandfestes am Kirberg, als Sektbar und Getränkelager.

    Das Kellergewölbe am Kirberg blickt heute auf eine wechselhafte Nutzungsgeschichte zurück und schlummert hinter verschlossener Tür in freudiger Erwartung auf ein Erwachen aus dem Dornröschenschlaf.

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  • Der Heimatverein Weilmünster erinnert

    Unser tolles Weilmünster

    Eine humoristische Betrachtung unseres Marktfleckens, von dem kürzlich verstorbenen langjährigen ersten Vorsitzenden des Heimatvereins Weilmünster, Rudi Czech, Jahrgang 1926.

    Redigiert von Heribert Domes, 2021

    rudi czech als maler und stadtschreiberLiebe Leser, wisst Ihr eigentlich was Weilmünster ist,
    wie man dessen Bedeutung misst,
    woran man es wohl dann und wann
    als typisch auch erkennen kann. Nein?
    Na, dann hört mal her und entdeckt es!

    Weilmünster ist ein von seinen Satelliten umgebenes, an der Weil hingestrecktes,
    zwischen Biel und Köpperich in einem nebligen Tale verstecktes,
    mit Wäldern, Feldern, Häusern und Schulen bedecktes,
    politisch betrachtet, schwarz-rot mit bunten Tuppen geflecktes,
    schon lange nicht mehr von den Grünen genecktes,
    von Land und Staat allzu oft in die Tasche gestecktes,
    von Kulturhochtaten nur spärlich belecktes,
    über manche Baugestaltung aufgeschrecktes,
    zu Hochwasserzeiten heizölverdrecktes,
    dank Banken und Bänker unsanft gewecktes
    und dementsprechend pro und contra erregtes,
    vom neuen Koschel – parteilos - im sanften Winde bewegtes,
    in Wahlzeiten von Parteien zärtlich umhegtes,
    ein paar Wochen danach aufs Kreuz gelegtes,
    von Rewe, Penny und Aldi verpflegtes,
    moralisch gesehen, leicht abgeschrägtes,
    zur Fastnachtszeit von Narren hinterhältig angesägtes, uraltes, kleines Taunusnest,
    das Jedem – in gewissen Grenzen – sehr viel Freiheit lässt,
    doch für alle im Flecken ein Fleckchen hat.
    Bleibt ruhig hier und meidet die Stadt,
    bleibt hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,
    in unserem tollen Weilmünster.

    In diesem Flecken, durch den die Weil ihr kristallklares Wasser führt,
    falls links und rechts davon keiner räuselt und rührt,
    gibt es kaum etwas was nicht passiert
    und immer einen Narren der es genau registriert.
    Sicher wird auch hier – mit gebremstem Schaum,
    ab und zu ein kleiner Aufstand probiert,
    außer Samstag und Sonntag jede Krankheit kuriert,
    mit 30 – 100 Prozent Rabatt aufs Glatteis geführt,
    zum Heimatfest immer wieder der alte Käse serviert,
    im Seifenheck  - mit Hypotheken gedüngt – das Land kultiviert,
    auf der Brücke jede Mücke zum Ochs projiziert,
    in den Hochwasserschutz jeder nutzlose Cent investiert,
    weshalb auch nicht mehr die Weil zugefriert.
    Der Zeller geplättet und exportiert,
    Döner, Kebab und Pizza an jeder Ecke serviert,
    der Kirchturm mit einem neuen Engel garniert,
    in Neudeutsch – cool und geil SMS transferiert
    und nicht mehr – schlicht und einfach – telefoniert,
    so kann man sehen was oder was nicht funktioniert
    und dass bei uns jeder einen „Tuppen“ hat,
    was ist da anders als in der Stadt?
    Drum bleibt hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,
    in unserem tollen Weilmünster.

    Weilmünster ist natürlich auch eine Reise wert,
    vorausgesetzt man fühlt sich nicht dadurch gestört,
    dass sich der Verkehr wie Kaninchen vermehrt,
    wenn man bei Kohls vorbei durch die Hauptstraße fährt.
    Aber sonst ist Weilmünster sein Geld schon wert,
    ein ruhiger Ort, blumengeschmückt und bis zur Anstalt gekehrt,
    ein Ort in dem man nachts nur die melodischen Töne der Autos hört,
    keine Straßenbahn klingelt, kein Zug mehr verkehrt,
    in dem sich die Mehrzahl der Bürger von Pommes und toten Schweinen ernährt,
    die man am liebsten mit Bier vermengt als Schnitzel verzehrt
    und ein sauberer Flecken in dem sich niemand beschwert,
    ganz einfach – weil ein jeder – nur vor der eigenen Türe kehrt
    und keiner mit dem anderen Schlitten fährt.
    Also ist Weilmünster bestimmt eine Reise wert,
    ein Paradies, mit allem was dazu gehört,
    wo Adam mit Eva allerdings nur noch mit der Pille verkehrt,
    aber die Hunde noch kacken und der Hirsch noch röhrt,
    so wie die Gemeinde in ihren Prospekten erklärt,
    der Wald so nahe, dass man die Holzwürmer hört,
    Wer in so einem Ort lebt, der weiß was er hat,
    bleibt auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,
    in unserem tollen Weilmünster.

    In Weilmünster wird fast jeder Beruf praktiziert,
    kleine Brötchen gebacken, gemengt und gerührt,
    am Zeug geflickt und über den Löffel galbiert,
    manches Astloch stillschweigend zugeschmiert,
    auf den Putz gekloppt, geleimt und rasiert,
    auf Teufel komm raus um jeden Dreck diskutiert,
    im Dunklen gefischt und jeden Zores probiert,
    auf Sand gebaut und aufs Glatteis geführt,
    mit Fastfood und Ketchup ins Weekend kutschiert,
    „all you can eat“ beim Munzur studiert,
    das Display gecheckt, Event aufgespürt,
    bei happy hour ein softer small talk justiert,
    die eigene Pole-Position beim Casting fixiert
    mit dem Lover gesimst und gebimst am Handy doziert,
    per I-Pot und E-Mail steile Zähne verführt,
    geoutet, gegoogelt, fehlendes Wissen kaschiert,
    unser Deutsch oft sinnlos konterkariert
    als ob das Digitale ein jeder kapiert.
    Aber hier bei uns wird nicht nur der Geist geschult und auf Hochglanz poliert,
    hier kann auch dem geholfen werden, der seinen Körper studiert
    und feststellt, dass es Zeit wird, dass man dies und jenes repariert,
    falls die Gicht oder Rheuma sekiert,
    der Poppes wehtut oder die Form verliert,
    ein Hühnerauge die Zehen verziert,
    die Bandscheibe kreischt, sich das Zipperlein rührt,
    bei Heizölknappheit die Glieder gefriert
    oder sich eine Säufernase vor den Leuten geniert,
    wenn irgendeine Stelle kein Leben mehr spürt
    oder sonst ein Leiden den Nerv strapaziert,
    ein harmonisches Haus die Leiden kuriert
    und im indischen Flair alles wegmassiert.
    Hier bei uns wird jedem geholfen – egal was er hat
    und alles viel besser als in der Stadt,
    hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster,
    in unserem tollen Weilmünster.

    Weilmünster ist übrigens schon seit Jahrhunderten globalisiert,
    hier wurde auf Teufel komm raus – mit Erfolg integriert,
    zum Beispiel Russen, einst im russischen Eck einquartiert,
    Vertriebene aus dem Osten haben die drohende Inzucht kuriert,
    Italiener und Türken mit Kebab und Pizza Weilmünsters „Gemois mit Flaasch“ variiert,
    natürlich wird in Weilmünster auch politisiert,
    jedoch nicht zu heftig, fast harmonisiert,
    so dass man kaum den Stachel des anderen spürt.
    Der schwarze Köberle im Landkreis Probleme kanalisiert,
    der parteilose Mario– oft geheimnisvoll die Gemeinde regiert,
    der dritte M erfolgreich den TUS dominiert,
    aber alle, auch so kantig und eckig, dass es das Fußvolk als mal zu Tränen rührt.
    Na ja, wer von Euch also auf dem Drahtseil der Politik balanciert,
    muss schwindelfrei sein damit ihm kein Fehltritt passiert,
    wie leicht ist man ausgerutscht und abgeschmiert,
    wenn auch die Partei darunter ein Netz montiert,
    so gilt der Beifall nur dem der oben bleibt und versiert,
    im Scheinwerferlicht seine Tricks produziert.
    Gott sei Dank, dass Weilmünster auch ein paar solche Artisten hat,
    genauso tüchtig – wie in der Stadt,
    hier auf dem Fleck zwischen Wald und Ginster
    in unserem tollen Weilmünster.

    Weilmünster ist mit Sicherheit,
    am schönsten in der Fastnachtszeit,
    da wird aus jeder Begebenheit,
    das ist ja die beste Gelegenheit,
    ein kunterbuntes Narrenkleid,
    zugegeben – manchmal ist es in den Schultern zu breit,
    in der Taille zu eng, der Kragen zu weit
    und es passt auch nicht jeder Persönlichkeit,
    weil ein Flicken am Anzug der Eitelkeit,
    nicht den richtigen Glanz verleiht.
    Aber was soll‘s! Was wirklich zählt ist die Heiterkeit,
    denn ein Tag ohne Lachen – ist verschwendete Zeit.
    Welch ein Glück, dass Weilmünster noch immer was zu lachen hat,
    deshalb lacht hier – erspart Euch die Stadt.
    Hier ist ein herrlicher Fleck zwischen Wald und Ginster, in unserm tollen Weilmünster. 

     

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  • Der Heimatverein Weilmünster erinnert

    Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster

    Von Rudi Czech, Dr. Elisabeth Knobling und Robert Dann. Redigiert von Heribert Domes, 2021

    Am Ende des 19. Jahrhunderts begannen die vorbereitenden Arbeiten zum Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster, 1897 ihrer Bestimmung übergeben, heute Vitos, eine Gründung der Stadt Frankfurt/Main und des Bezirksverbandes Wiesbaden mit dem Hintergrund, weitere Betreuungsplätze für psychisch kranke Menschen bereitzustellen.

    Die Klinik Eichberg im Rheingau, nahe dem Kloster Eberbach gelegen, ist die älteste psychiatrische Klinik der preußischen Provinz Nassau. 1849 wurde die "Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" (heute Vitos) in Betrieb genommen. Bis heute werden hier psychisch krankte Menschen behandelt. Gegründet wurde die Klinik aber bereits 1815 im nahegelegenen Kloster Eberbach. In der Klinik Eichberg hat man 1815 erstmals die psychisch kranken Menschen von den Kriminellen getrennt und sie als Kranke einer Behandlung und Betreuung zugeführt.

    Mit dem Beginn der Neuzeit, auch bedingt durch die körperliche und seelische Belastung und Überanstrengung der Menschen, aber auch durch die Tatsache, dass man bis dahin viele mit seelischen Leiden behafteten Menschen bisher keiner stationären Behandlung zugeführt hatte, wuchs die Zahl der psychisch Kranken von Jahr zu Jahr. Die Plätze auf dem Eichberg reichten nicht mehr aus und ein Neubau einer weiteren Heil- und Pflegeanstalt an einer anderen Stelle im Land wurde notwendig.

    Die Bewerbung Weilmünsters, um diese Einrichtung, war angeregt und umgesetzt durch den 1896 verstorbenen Landwirt Hermann Nickel, der jahrelang Kreisausschussmitglied gewesen war. Er war mit dem Landeshauptmann Otto Satorius befreundet, dessen Vater war Lehrer in Essen und dessen Großvater Georg Peter Satorius hatte bis 1822 hier in Weilmünster als Mädchenlehrer gearbeitet. Möglicherweise wirkte sich diese Freundschaft positiv auf die Standortwahl aus. Weilmünster gewann gegen die Mitbewerber Westerburg und Limburg. 20 Gehminuten oberhalb von Weilmünster gelegen, wählte man das gegenüber der Blumenmühle, rechts der Weil, am Berghang auf den früheren Felddistrikt „im Völdchen“ befindliche Gelände als Standort aus. Damals war es üblich, derartige Kliniken außerhalb der Gemeinden sowie weit entfernt von Ballungsräumen zu bauen um die Patienten von der Welt der Gesunden zu isolieren, zu disziplinieren und in der Anstalt dauerhaft festzuhalten. Für das Bauland erhielt die Gemeinde Weilmünster 11.000 Mark vom Kommunalverband.

    Planungsbeginn war 1892/1893, für Weilmünster ein besonderes Ereignis. In der Zeit von 1895 bis 1897 entstand ein autonomes Gebilde, mit 8 Krankengebäuden, je ein Verwaltungs-, Wirtschaft-, und Werkstätten-Gebäude sowie eine Kirche, ein Leichenhaus, ein Bauernhof mit einer Anzahl von Wohngebäuden, ein Pferdestall, ein Hühnerhof und eine Gärtnerei zur Versorgung und Beschäftigung der Patienten. Das heutige Seifenheck war damals der Gemüsegarten der Anstalt. Zunächst war ihre Kapazität für 550 bis 600 Patienten geplant und durch die spätere Fertigstellung von zwei weiteren Krankengebäuden auf 800 erweitert worden. Die Belegung stieg vor dem ersten Weltkrieg bis auf 1000 Patienten an.

    heimatverein weilmuenster Bau Pflegeanstalt vitos Einweihungsfeier
    Einweihungsfeier der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster am 31. März 1898. Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

    Für den Bau der Landes-Heil- und Pflegeanstalt musste am Güterbahnhof Weilmünster alles mit der Bahn ankommende Baumaterial entladen werden. Die Bahnstrecke Weilmünster nach Grävenwiesbach, mit dem Bahnhof Kurhaus, ist erst 1907 gebaut worden. Die Gespann-Halter hatten eine zusätzliche Einnahmequelle. Mit ihren Fuhrwerken transportierten sie das am Bahnhof ankommende Material zur großen Baustelle an der oberen Weilstraße. Ein Segen für die Weilmünsterer Bevölkerung sowie der angrenzenden Region. Zahlreiche Bauarbeiter und Handwerker fanden während der Bauzeit Lohn und Brot für sich und ihre Familien.

    Wenige Monate nach der Eröffnung, am 31. März 1898, lebten in der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster 171 Patienten. Sie wurden von 27 Wärtern und 26 Wärterinnen betreut. Außer dem ärztlichen Direktor Dr. Georg Langreuter wirkten noch zwei weitere Ärzte, ein Oberwärter und eine Oberwärterin, ein Verwaltungsleiter mit drei Mitarbeitern, ein Koch und eine Weißzeug Beschließerin in der Anstalt.

    Die leitenden Persönlichkeiten waren mit ihren Familien sehr großzügig untergebracht und für die damaligen Verhältnisse gut bezahlt. Die Arbeitsbedingungen für das nachgeordnete Personal, insbesondere für das Pflegepersonal, war schlecht und der Lohn sehr gering. Der Anfangslohn eines Wärters, freie Station, Kleidung usw. belief sich auf 750 bis 800 Mark im Jahr. Neben dem regelmäßigen vierzehntägigen Jahresurlaub ist dem Aufsichtspersonal wöchentlich einmal ein Ausgang von drei Stunden gewährt worden. Die Wärterinnen sowie die Wärter waren mit ihren Patienten Tag und Nacht auf der Krankenstation eingeschlossen.
    1911 wohnten in der Summe 1200 bis 1300 Menschen, Personal und Patienten zusammengerechnet, in der Anstalt. Im Vergleich dazu, im Jahr 1905 hatte der Marktflecken Weilmünster 1.671 Einwohner. Nach dem Tod vom ersten ärztlichen Direktor Dr. Georg Langreuter, Anfang der 1900er Jahre, folgte der Sanitätsrat Dr. Eberhard Lantzius-Begins in die Direktorenfunktion. Zu dieser Zeit standen ihm sechs weitere Ärzte zur Seite, von denen der Oberarzt Dr. Karl Schmelzeis stellvertretender Direktor war. Die Verwaltung leitete der Rendant Johann Baptist Priester und Ökonomieverwalter war damals Wilhelm Leininger.
    Die Anstalt besaß auch eine Musikkapelle, die sich aus dem Personal rekrutierte. Sie spielte nicht nur für Veranstaltungen und Feiern innerhalb der Einrichtung, sondern auch auf der Kirmes und weiteren Tanzveranstaltungen im Marktflecken und in den Orten der Umgebung. Dadurch konnte so mancher Pfleger sein oft karges Gehalt aufbessern.

    heimatverein weilmuenster BauPflegeanstalt vitos Gelaende 1907 heimatverein weilmuenster BauPflegeanstalt vitos Pforte 1907
    Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster, eröffnet 1897. Aufnahme aus dem Jahr 1907. Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster Die Anstaltspforte mit dem Pförtner Herrn Rübling. Aufnahme aus dem Jahr 1907. Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

    Für den eigenen Bedarf und zur gelegentlichen Beschäftigung der Patienten war damals eine eigene Schlosserei, Schuhmacherei, Schreinerei und eine Schneiderwerkstatt eingerichtet worden. Soweit die Patienten sich dazu eigneten, wurden sie in den genannten Werkstätten sowie im landwirtschaftlichen Betrieb eingesetzt.

    Anfänglich wirkte sich die 1897 in Betrieb genommene Heil- und Pflegeanstalt günstig auf das wirtschaftliche Geschehen in Weilmünster und den umliegenden Orten aus. Der Bäcker Schlicht aus Weilburg lieferte Brot, der Metzger Haibach aus Weilmünster Fleisch und Wurstwaren und der Landwirt Moritz Vonhausen aus Weilmünster die Milch, zur Verköstigung der Patienten.

    Die sehr positive Entwicklung der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen. Zahlreiche männliche Mitarbeiter wie Ärzte, Pfleger und Verwaltungsangestellte sind zum Wehrdienst einberufen worden. Die Ernährung und Betreuung der Patienten verschlechterten sich und Seuchen forderten ihre Opfer.

    Die Folgen des Ersten Weltkrieges wirkten sich noch einige Jahre nach Kriegsende hin aus. Die Anstalt war im Jahr 1920 fast ohne Insassen und sollte industriellem Nutzen zugeführt werden. Der Landesverwaltung mit dem Landesausschuss und dem kommunalen Landtag gelang es diese Einrichtung für soziale Aufgaben zu erhalten. Die Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster wurde 1921 Nassauisches Volkssanatorium und beherbergte erholungsbedürftige Erwachsene, Ferienkinder, kranke Kinder und alte Menschen.

    heimatverein weilmuenster logoWeitere Geschichten aus der Heimatstube finden Sie unter WEILMÜNSTER ENTDECKEN > KULTUR + FREIZEIT

  • Der Weilbote

    Weilmünsters Tageszeitung zu Anfang des 20. Jahrhunderts

    Von Dr. Adolf Bremser†, redigiert von Heribert Domes, 2021

    Es war im Jahr 1907, als ein junger unternehmenslustiger Mann, damals erst achtundzwanzigjährig, die Zeichen der Zeit mit klarem Blick erkennend, in Weilmünster in dem Priester’schen Anwesen in der damaligen Marktstraße, später Kolonialwarengeschäft Lothar Jung, heute der Spitzhacke längst zum Opfer gefallen, eine Buch-, Papier- und Schreibwarenhandlung eröffnete. Der junge Mann, als Sohn eines Landwirts in Edelsberg geboren, hatte in Weilburg in der Cramer’schen Buchdruckerei seine Fachausbildung als Buchdrucker abgeschlossen. Anschließend ging er in die Welt hinaus um seine erworbenen Kenntnisse zu erweitern, ehe er sich entschloss, in Eigenregie ein Unternehmen zu gründen, welches in der Folge einen für die damalige Zeit ungeahnten Aufschwung nahm.  

    Haus Hermann Buchholz – ehemals Priester, in der Hauptstraße kurz vor seinem Abriss.  Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

    Haus Hermann Buchholz – ehemals Priester, in der Hauptstraße kurz vor seinem Abriss. Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster 

    heimatverein weilbote Verlagshaus

    Das 1911 bezogene neue Verlagshaus und Papierwarengeschäft Heinrich Hirschhäuser in der Hauptstraße Nr. 3, Aufnahme aus dem Jahr 1950
    Foto: Archiv Heimatverein Weilmünster

    Nach einjähriger Tätigkeit in der Buch-, Papier- und Schreibwarenbranche im eigenen Geschäft wurde ein Entschluss gefasst, der vor der Ausführung wohl überlegt werden musste. Aber für einen Mann wie Heinrich Hirschhäuser war es eine normale Fortentwicklung seiner gesteckten Ziele, die er sich insgeheim vom ersten Tag seiner Selbständigkeit an, in Weilmünster gesetzt hatte.
    Er gründete bereits 1908, eine Zeitung für den ländlichen Bereich, den „Weil-Boten“, vorwiegend auch als amtliche Zeitung für das untere Weiltal gedacht. Ein wohldurchdachter Schachzug, den er in seinem späteren Leben sicher nie bereute.

    Im genannten Haus, gegenüber vom Café Wagner, entstand neben dem Schreibwarengeschäft die Druckerei für seine Zeitung. Zunächst war sie nicht so umfangreich wie das heutige „Weilburger Tageblatt“, aber immerhin für die damalige Zeit sehr beachtlich.

    Von dieser Zeit an hatte Weilmünster eine eigene Presse und konnte sich somit stolz mit der Kreisstadt Weilburg messen. Die Zeitung war eine regelrechte Tageszeitung, sie erschien täglich, außer montags. An den Tagen nach Feiertagen gab es ebenso keine Zeitung.

    Wenn man heute den Bezugspreis des Weilboten in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg betrachtet, er betrug vierteljährlich 1,20 RM, ohne Trägerlohn, so denkt man an die „gute alte Zeit“ zurück. Bald schon zeigte es sich, dass der zur Verfügung stehende Raum in dem Priester’schen Anwesen für beide Abteilungen, Schreibwarengeschäft und Druckerei, zu klein wurde. Der junge Unternehmer brauchte mehr Platz um sich frei entfalten zu können. Kurz entschlossen erwarb er vom Schmiedemeister Heinrich Söhngen ein Grundstück in der damaligen Marktstraße 91, heute Hauptstraße 3. Hier entstand ein für diese Zeit moderner und großzügiger Fachwerkbau, der schon 1911 bezugsfertig war.

    Nach dem Umzug in das neue Gebäude blühten beide Sektoren des Betriebes auf, bis der Erste Weltkrieg begann. Das Erscheinen des „Weil-Boten“ kam schon am 4. August 1914 zum Erliegen, da der Chef mit der gesamten Belegschaft zu den Fahnen geholt wurde.

    Am 4. August 1914 las man in der letzten Weil-Bote-Ausgabe vor dem 1. Weltkrieg, auf der ersten Seite an markanter Stelle, die Mobilmachung. Da war in fetten Lettern zu lesen:

     

    „Seine Majestät der Kaiser haben die Mobilmachung der Armee befohlen“.

    Es folgten dann die Anweisungen für alle Männer des Beurlaubten-Standes, wie Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, angeordnet von dem zuständigen kommandierenden General des 18. Armeekorps.
    In der gleichen Nummer des „Weil-Boten“ ist ferner auf der ersten Seite eine Mitteilung des Herausgebers der Zeitung, Heinrich Hirschhäuser aus Weilmünster, an die Leser gerichtet, zu lesen:

    Tausende sind schon dem Ruf des Kaisers folgend zu den Fahnen geeilt, Tausende werden noch folgen. Auch ich muss heute einrücken und da niemand von meinen Mitarbeitern zurückbleibt, muss ich meine Druckerei schließen und der „Weil-Bote“ hört darum mit dieser Nummer auf zu erscheinen. Will’s Gott, so wird er bald wieder erscheinen können! Allen rufe ich ein „Herzliches Lebewohl“ zu.
    Gott schütze unser Volk und Vaterland!
    Heinrich Hirschhäuser

    heimatverein weilbote Titelseite 

    Das Schreibwarengeschäft wurde damals von seiner Ehefrau weitergeführt und gut über die Runden gebracht. Nachdem der Inhaber, der von Anfang bis zum Ende des Krieges draußen an der Front war zurückkehrte, dachte er vorerst nicht an ein neuerliches Erscheinen der Zeitung. Erst im Oktober 1919 erschien der langentbehrte „Weil-Bote“ wieder, anfangs nur dreimal wöchentlich, ab 1.1.1920 täglich.
    Wenn damals jemand annahm, der Buchdrucker, wie er in Weilmünster allenthalben genannt wurde, würde sich nach den Entbehrungen des langen Krieges auf seinen Lorbeeren ausruhen, der hatte sich getäuscht. Die ihm angeborene Schaffenskraft und das Schritthalten mit der Gesamtentwicklung rief ihn erneut zum Handeln auf. Schon im August 1920 erwarb er den „Runkeler Anzeiger“ und am 1. Januar 1923 das amtliche Kreisblatt Weilburg.

    Die Zeitung erschien nun im neuen Gewand und hieß fortan nicht mehr „Weil-Bote“, sondern „Kreiszeitung für den Oberlahnkreis“. Das Verbreitungsgebiet war ein wesentlich größeres geworden. Damit schnellte auch der Leserkreis zahlenmäßig in die Höhe und die Auflagenziffer vergrößerte sich erheblich. Als sich eines Tages in der Kreisstadt Weilburg der Erwerb des Rosenkranz’schen Hauses am Marktplatz anbot, kaufte Heinrich Hirschhäuser dieses Gebäude und verlegte sein Verlagshaus mit der Druckerei von Weilmünster nach Weilburg.

    Das war im Jahre 1924. Ganze sechzehn Jahre hatte Weilmünster seine eigene Presse gehabt. Das Papier und Schreibwarengeschäft Heinrich Hirschhäuser blieb in Weilmünster in der Hauptstraße Nr. 3 ansässig. Die Tochter Edith heiratete den Dachdecker Rudolf Weil jun. Gemeinsam führten Sie das Schreibwarengeschäft weiter und erweiterten es durch Spielwaren, Bastelartikel, Buchhandlung und einer Lotto Annahmestelle. In den 1970er Jahren wurde das Wohn und Geschäftshaus deutlich vergrößert. Es entstand ein stattliches Anwesen. Dazu bebaute man die Freifläche links neben dem 1911 bezogenen Geschäftshaus. Dadurch konnte der Verkaufsraum wesentlich erweitert werden.

    Rudolf Weil verstarb sehr früh. Das Geschäft wurde von seiner Ehefrau Edith und später von Sohn Stefan Weil gemeinsam mit seiner Ehefrau unter der Firmierung Heinrich Hirschhäuser, Inhaber Stefan Weil weitergeführt. Edith Weil konnte man bis weit über ihre berufliche Altersgrenze hinaus als engagierte Geschäftsfrau im Verkaufsbereich antreffen. Stefan Weil gab im Jahr der Coronapandemie, Mitte des Jahres 2020, aus Altersgründen das Geschäft auf und das Anwesen wurde verkauft.

Tags: Verein, Kultur

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